
Auf der Flucht vor den Roten Khmer (1)
Koeun Path, ein Kambodschaner, flieht vor den Roten Khmer, um sein Leben zu retten. In seiner Autobiografie schildert er, wie er sich nach wochenlangem Hin und Her in Kälte, Hunger und Angst als Gefangener im Nachbarland wiederfindet. Dort besucht ihn Paula, eine ältere Christin, im Gefängnis und liest mit ihm die Bibel. Koeun erinnert sich an eins der Gespräche mit seiner Besucherin:
„Weißt du, gestern hast du mich einen Satz aus deinem Buch lesen lassen, der lehrt, dass wir nach dem Tod alle von Gott gerichtet werden“, sagte ich langsam und versuchte, so gut es ging, meine wirren Gedanken zu formulieren. Ich fuhr fort: „Einerseits beruhigt es mich, dass mein Volk nicht für die Katastrophen verantwortlich ist, die über es hereinbrechen, und dass Gott die Roten Khmer dafür strafen wird. Aber vor ein paar Wochen hast du mich auch einen Vers lesen lassen, der sagt, dass kein Mensch vollkommen gerecht ist, sondern dass alle Menschen Unrecht begangen haben. Das bedeutet also, dass Gott die Bösen richten wird, aber dass es auch Böses in meinem Herzen gibt. Verstehst du, was ich meine?“
Paula nickte, bevor ich weitersprach: „Aus menschlicher Sicht war ich immer ein guter Mensch, überall, wohin ich kam. Mein Vater war ein aufrechter Mann und ich hatte ihn als Vorbild. Aber manchmal hatte ich Gedanken und tat heimlich Dinge, für die ich mich schämen würde, wenn jemand davon erführe. Wenn Gott mein Herz sieht und mich verurteilt, dann bin ich verloren, oder?“
Wie immer war Paula sehr aufmerksam bei allem, was ich sagte. Ich hatte erwartet, dass sie mich korrigieren würde. Aber das tat sie nicht. Nach einigen Sekunden Stille, in denen sie mich ernst ansah, antwortete sie: „Ja, das stimmt, Koeun!“ (Fortsetzung morgen)